„Zum abschreckenden Beispiel und zur Aufmunterung.“ (Illustrirtes Wiener Extrablatt, 2. April 1911)
Im März 1911 sorgte ein Model in einem neumodischen Hosenrock in Wiener Neustadt für Menschenansammlungen. Auch in Wien löste das revolutionäre Kleidungsstück turbulente Szenen aus. Frauenhosen galten zu diesem Zeitpunkt als unanständig und unweiblich.
Eine Frau, die sich Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Hosen in die Öffentlichkeit wagte, brauchte eine gehörige Portion Mut. Sie wurde im besten Fall nur verspottet, im schlimmsten Fall angegriffen oder sogar geschlagen. Denn Beinkleider für das weibliche Geschlecht galten als unanständig und waren verpönt. Die Trägerinnen wurden kurioserweise gleichzeitig als unweiblich und lasziv empfunden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwarfen Modeschöpfer wie der Franzose Paul Poiret dennoch Hosenröcke, Hosenkleider sowie Ballon- und Pumphosen für Frauen. Im März 1911 sorgte schließlich so manch kühne Dame mit dem hippen Beinkleid für Chaos und Tumulte.
Die Flucht im Fiaker
In Brünn etwa kam es wegen einer herumflanierenden Hosenrockträgerin zu wüsten Skandalszenen, worauf die berittene Polizei einschritt und mehrere Straßen räumte. Auch in Wien löste das revolutionäre Kleidungsstück diverse Zwischenfälle und turbulente Szenen aus. So wurde etwa in Ottakring eine Trägerin von einer großen Menschenmenge verfolgt, beschimpft und geschlagen. Als sie in einem Fiaker flüchten wollte, wurde der Wagen mit Steinen beworfen. Wachmänner lösten die Ansammlung auf und nahmen mehrere Personen fest.
Sensation in Wiener Neustadt
Am 12. März desselben Jahres promenierte eine Angestellte des Wiener Neustädter Konfektionshauses Hans Platzer im Schaufenster mit einem Hosenrock-Kostüm auf und ab. Der Auftritt an diesem Sonntagvormittag war eine Sensation. Im Modewarengeschäft in der Herzog-Leopold-Straße 5 drängten sich Menschen in den Innenräumen, draußen blockierten Neugierige das Haus. Schließlich wurde der Andrang so groß, dass der Firma nichts anderes übrigblieb, als die Rollbalken der Eingänge herunterzuziehen, während sich sechs Wachleute vor dem Geschäft bemühten, den Verkehr aufrecht zu erhalten. Um 11 Uhr wagte sich die Dame mit dem Hosenrock ins Freie und posierte in der Neunkirchner Straße. „Man sah selten in Wiener Neustadt ohne größere Veranstaltung eine so bedeutende Menschenmenge beisammen.“ (Wiener Neustädter Zeitung, 15. März 1911)
Schmähungen und Applaus
Ein Teil der Schaulustigen applaudierte der modischen Neuheit, manche riefen dem Model Schmähworte zu. Doch im Gegensatz zu anderen Städten kam es in Wiener Neustadt wegen des Hosenrocks weder zu Handgreiflichkeiten noch zu Sachbeschädigungen. Nach dem Rummel stellte die Firma Platzer das damals frivole Kleidungsstück bis auf Weiteres im Schaufenster aus. Doch der Betrieb war seiner Zeit voraus, denn bis die Gesellschaft die Damenhose allgemein akzeptierte, sollte es noch dauern. Allerdings wurde Sport bei Frauen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten immer beliebter. Beim Reiten, Schwimmen, Skifahren, Turnen oder Wandern setzten sich die bequemeren Hosen gegenüber den bis dahin speziell für den Sport angefertigten Korsetts und Kleidern letztendlich durch.